Sunday, April 8, 2007

GESICHTER UND GEBÄRDEN

Armando González Torres

In miesen Spelunken abtauchen, über den Durst trinken
und mit dem Verdacht erwachen,
dass man dir das Gesicht gestohlen hat.

Ein Gesicht ist eine Handvoll Staub
die ein Lächeln wagt
bevor der Besen sie zerstreut.

Sein Gesicht war das Erblühen der Leiche, seine Stimme
ein verstimmtes Echo
das die Erkenntnis verweigerte.

Aus Wolke und Wasser entstehen auch
die sinnlichsten Gesichter.

Jedes Gesicht ist ein Abgrund und wenn du es anstarrst
greift Schwindel nach dir.

Er erkannte sich in manchen Gesichtern wieder, in vielen mehr
verachtete er sich.

Augen ohne Höhlen, leere Adern, Nasen, die
ihren Atem zurücksehnen.

Ein Gesicht wird erst aus dem Wüstensand geformt
und dann siebt es der Wind in entfernte Regionen, wo
eine Legion namenloser Täufer ihm einen Namen zu geben sucht.

Asche, die du gestern Gebärde warst und dich
von den Blicken verführen ließt.

Wir haben ein Gesicht, das verwelkt, sich in
jeder Gebärde verwandelt, doch
ein anderes, unveränderliches Gesicht bewahren wir im Gedächtnis.

Bewahre jenes, das ich heute war, in andächtigster Erinnerung.
Aus Eso que ilumina el mundo,

Oaxaca, Almadía, 2006.

Armando González Torres, geb. Mexico-Stadt 1964. Lyriker und Essayist.
Ausgezeichnet mit dem Lyrikpreis "Gilberto Owen" und dem Preis für
Essayistik "Alfonso Reyes". Gedichtbände La conversación ortodoxa (Aldus
1996), La sed de los cadáveres (Daga, 1999), Los días prolijos (Verdehalago,
2001) und Eso que ilumina el mundo (Almadía, 2006). Essaybände Las guerras
culturales de Octavio Paz (Colibrí 2001) und Que se mueran los intelectuales
(Planeta, 2005) .

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